Montag, 20. August 2012

Rezension (Assmann)

zu Karsten Zamzows Essay „Über das Schreiben“

In seinem Essay über das Schreiben behauptet Z., dass die europäische Kultur ausgebrannt sei, konstatiert eine Art kulturelle Degeneration, zieht eine Parallele zwischen der Gegenwart und Nietzsche letztem Menschen und beschreibt seine eigene Schreib-Motivation. Sein Schreiben ist Provokation, so auch in seinem Selbst-Zitat, in dem er das eigene Schreiben mit eine anzüglich-sexuellen Metapher als eine Art schnellen Akt beschreibt, der schnelle Befriedigung verschafft und nur der eigenen Bestätigung dient. Schreiben als Lust-Abfuhr in der Fast-Food-Gesellschaft. Hier kann man eine gewisse Selbst-Ironie nicht überlesen. Es ist auch eine Pardodie gegenwärtiger Kultur. In Zamzows Essay scheint eine große Unzufriedenheit mit der Gegenwart des Schreibens durch, die auch ich zumindestens partiell teilen kann. Seine Aussage über Täterprofile kann ich nicht recht einordnen. Es mag manche Menschen geben, auf die das tatsächlich zutrifft: Ich denke hier beispielsweise an Anders Breivik, aber was bedeutet es, dass man seine Spuren so durchdacht wie möglich setzen sollte. Spielt denn das eine Rolle, wenn man gar kein Täter werden will?

In einer Welt, in der der Markt regiert, braucht es niemanden mehr, der wirklich denkt. Schnelle Texte, schneller Genuss, etwas Affekte, genaue Darstellung von Sexualität. Das ist es, was es in dieser Welt Geld und Erfolg bringt. Geisteswissenschaften studiert man, um Reisen, Autos und I-Phone-Hüllen anzubieten. Wir leben in der Zeit seichter Feuchtgebiete und manch einer hat die Hoffnung, sich aus dem Absurden zu vögeln, zu kaufen oder zu verkaufen. Keine Frage, Sexualität und Unterhaltung sind wertvoll, doch führt eine Fixierung auf Genuss und Hedonismus und auf künstliche, materielle Ersatzbefriedigung niemanden weiter. Ein Sportwagen ist bloß schön, Sinn dagegen ist erfüllend. In affektiven Texten vergisst man für einen kurzen Moment die Schrecklichkeiten dieser Welt, des eigenen und fremden Daseins, die Absurdität der Umweltzerstörung und der Ausbeutung, des Krieges und des Wahnsinns. Man hält sie aber nicht auf. Auf Basis des negativen, wertenden Standpunktes zur gegenwärtigen Kultur führt Z. seine eigenen Gedanken aus, die durch diesen Standpunkt schon einer Selbstentwertung unterworfen sind.

Ich kann verstehen, dass man einen solchen Standpunkt hat, doch möchte ich auch einwerfen, dass die Kultur der Gegenwart erst retrospektiv ganz bewertet werden kann. Kafka war zu seinen Lebzeiten kein großer Autor und viele Philosophen brauchten einige Zeit, bis ihre Gedanken überhaupt aufgenommen wurden. Aber ich schweife ab und werde so Z. Essay nicht gerecht. Über dieses Selbst-Bekenntnis, das auch Ironie und Kritik ist, geht sein Essay nämlich weit hinaus. Er schreibt über identitäts- und distanzstiftende Aspekte des Schreibens. Als Beispiel für den distanzstiftenden Aspekt nennt er Goethe, der sein Leid im Werther ausgedrückt hat, diese Distanz bedeutet aber sogleich auch Identität, denn durch die Abfuhr der Gefühle, eine innere Reinigung wird man, wer man ist, erkennt man, was man fühlt und kann es loslassen und transzendieren.

Z. Essay endet mit der Frage, ob heutzutage noch jemand große Kultur spiele, mit dem Ganzen selbstzerstörerischen Ernst. Ist große Kultur selbstzerstörerisch? Vielleicht ist es schwierig, aber ist nicht das Unendlich-Seichte, das Degenerierte, was Zamzow im ersten Absatz anklingen lässt, letzendlich weit selbstzerstörerischer? Vielleicht bin ich ein unverbesserlicher Optimist, aber ich denke, es ist Hoffnung da, dass noch bewusst geschrieben wird.